Es sind über 350 000 kleine rote Punkte, die Joëlle Magnin begeistern. «Schauen Sie mal», sagt sie und schiebt den Laptop über den Tisch, «die Karte des Kantons Waadt ist ganz rot vor lauter Punkten!» Seit vier Jahren sind im Kanton Waadt 150 Freiwillige unterwegs und halten fest, wo sie welche Pflanzen finden. Jeder Eintrag gibt einen roten Punkt. Mit all diesen Daten entsteht am Ende eine Übersicht, die zeigt, wo in diesem grossen, landschaftlich abwechslungsreichen Kanton über 2200 verschiedene Arten zu finden sind.
Jöelle Magnin ist als Präsidentin des Botanischen Zirkels im Kanton Waadt Mitinitiantin dieses ambitionierten Projektes, für das alle ehrenamtlich arbeiten. Sie selber hat an Feierabenden und Wochenenden 225 Quadratkilometer Kantonsfläche inventarisiert und sich dabei auch für ein paar besonders schwer zugängliche Flächen in einer Schlucht entschieden. «Das Vallée de la Mérine war von Botanikern noch kaum untersucht worden – umso spannender war es.» Sie fand den Pyrenäen-Bergflachs und die Hecken-Wicke, zwei Pflanzen, die man in dieser Region bis anhin nicht gekannt hatte.
Joëlle Magnins Leidenschaft für das Pflanzenreich erwachte schon in ihrer Kindheit. Mit elf Jahren machte sie ihr erstes Herbarium mit Pflanzen, die sie in ihrer Umgebung fand. Sie wuchs in Belgien und Frankreich auf, studierte Biologie und kam 1983 der Liebe wegen in die Schweiz. In Lausanne fand sie eine Stelle im Kantonalen Botanischen Garten und Museum, wo sie noch immer arbeitet und für die Bibliothek zuständig ist. In dieser Funktion hat sie 2004 auch ihr erstes Buch publiziert: Als sie ihre Stelle aufnahm, vermisste sie ein Werk auf Französisch über die Geschichte der botanischen Wissenschaft. So fing sie selber an, zu recherchieren und Zusammenfassungen zu schreiben. Bis sie so viele Dokumente hatte, dass ein Arbeitskollege fand, man müsste all diese Unterlagen doch publizieren. Sie fand einen Verlag, und schon bald stand das erste von ihren bisher drei Büchern in den Buchhandlungen.
In zwei Jahren soll nun der Atlas der Waadtländer Flora publiziert werden – genau 139 Jahre nach dem letzten und bislang einzigen Buch über das Pflanzenreich im Kanton. Was für Tendenzen lassen sich bis jetzt ablesen? «Eine genaue Analyse haben wir noch nicht gemacht», sagt sie, «aber wir können bereits feststellen, dass rare Arten rar geblieben und einige sogar ganz verschwunden sind.» Zum Beispiel die Littorella uniflora, auf Deutsch Strandling, die entlang von Ufern in Sand oder Kies wächst. Vor fünfzig Jahren fand man sie noch am Ufer des Genfersees. Heute existiert sie dort nicht mehr. Was ist passiert? Es gebe viele Gründe für den Rückgang der Biodiversität, sagt Joëlle Magnin: Landschaftsveränderungen, Siedlungsdruck, Klimaerwärmung.
Um die Folgen des Klimawandels für die Pflanzenwelt dreht sich in den nächsten drei Jahren auch die Botanica, eine Initiative von rund 20 botanischen Gärten in der Schweiz. Unter dem Titel «Klimawandel im Pflanzenreich» werden die Gärten von 2019 bis 2021 anhand verschiedener Veranstaltungen die Öffentlichkeit informieren und sensibilisieren (siehe Box). Auch Joëlle Magnin wird an den Aktivitäten im Botanischen Garten Lausanne mitarbeiten. «Ob ich eine Ausstellung konzipiere, ein Buch schreibe oder Daten sammle für einen Pflanzenatlas – es geht mir immer um dasselbe», sagt die 57-Jährige: «Ich möchte mithelfen, dass der Mensch wieder Zugang findet zur Natur, von der er sich leider – und das macht mir manchmal Angst – immer weiter entfernt.» Doch dass die Beziehung zwischen Mensch und Natur funktioniere, sei enorm wichtig: «Nur was der Mensch kennt und schätzt, wird er auch schützen», sagt sie.
Deshalb hat sie auch so grosse Freude an den vielen roten Punkten auf der Waadtländer Karte. Sie sind alle ein Zeugnis des Pflanzenreiches im Kanton und ein wichtiges Statement. Nicht nur für Bedauerliches, sondern immer auch wieder für Erfreuliches: So wurde von der seltenen Borstigen Glockenblume Campanula cervicaria ein bis zu diesem Zeitpunkt unbekannter und kleiner Bestand gefunden. «Solche Ereignisse sind einfach grossartig», sagt Magnin. Und sie motivieren sie, weiterzumachen. «Weil es sich noch immer lohnt.»
Das Porträt von Joëlle Magnin ist in der Ausgabe Mai/Juni 2019 von Bioterra erschienen. Das Magazin ist Medienpartner der BOTANICA www.bioterra.ch (Foto: Stefan Walter)
«Der Mensch schützt, was er schätzt.»
Wenn sich das ganze Leben um Pflanzen dreht: Joëlle Magnin arbeitet als Konservatorin am Museum für Botanik in Lausanne. In ihrer Freizeit recherchiert und schreibt sie an einem Buch über die Waadtländer Flora.
Es sind über 350 000 kleine rote Punkte, die Joëlle Magnin begeistern. «Schauen Sie mal», sagt sie und schiebt den Laptop über den Tisch, «die Karte des Kantons Waadt ist ganz rot vor lauter Punkten!» Seit vier Jahren sind im Kanton Waadt 150 Freiwillige unterwegs und halten fest, wo sie welche Pflanzen finden. Jeder Eintrag gibt einen roten Punkt. Mit all diesen Daten entsteht am Ende eine Übersicht, die zeigt, wo in diesem grossen, landschaftlich abwechslungsreichen Kanton über 2200 verschiedene Arten zu finden sind.
Jöelle Magnin ist als Präsidentin des Botanischen Zirkels im Kanton Waadt Mitinitiantin dieses ambitionierten Projektes, für das alle ehrenamtlich arbeiten. Sie selber hat an Feierabenden und Wochenenden 225 Quadratkilometer Kantonsfläche inventarisiert und sich dabei auch für ein paar besonders schwer zugängliche Flächen in einer Schlucht entschieden. «Das Vallée de la Mérine war von Botanikern noch kaum untersucht worden – umso spannender war es.» Sie fand den Pyrenäen-Bergflachs und die Hecken-Wicke, zwei Pflanzen, die man in dieser Region bis anhin nicht gekannt hatte.
Joëlle Magnins Leidenschaft für das Pflanzenreich erwachte schon in ihrer Kindheit. Mit elf Jahren machte sie ihr erstes Herbarium mit Pflanzen, die sie in ihrer Umgebung fand. Sie wuchs in Belgien und Frankreich auf, studierte Biologie und kam 1983 der Liebe wegen in die Schweiz. In Lausanne fand sie eine Stelle im Kantonalen Botanischen Garten und Museum, wo sie noch immer arbeitet und für die Bibliothek zuständig ist. In dieser Funktion hat sie 2004 auch ihr erstes Buch publiziert: Als sie ihre Stelle aufnahm, vermisste sie ein Werk auf Französisch über die Geschichte der botanischen Wissenschaft. So fing sie selber an, zu recherchieren und Zusammenfassungen zu schreiben. Bis sie so viele Dokumente hatte, dass ein Arbeitskollege fand, man müsste all diese Unterlagen doch publizieren. Sie fand einen Verlag, und schon bald stand das erste von ihren bisher drei Büchern in den Buchhandlungen.
In zwei Jahren soll nun der Atlas der Waadtländer Flora publiziert werden – genau 139 Jahre nach dem letzten und bislang einzigen Buch über das Pflanzenreich im Kanton. Was für Tendenzen lassen sich bis jetzt ablesen? «Eine genaue Analyse haben wir noch nicht gemacht», sagt sie, «aber wir können bereits feststellen, dass rare Arten rar geblieben und einige sogar ganz verschwunden sind.» Zum Beispiel die Littorella uniflora, auf Deutsch Strandling, die entlang von Ufern in Sand oder Kies wächst. Vor fünfzig Jahren fand man sie noch am Ufer des Genfersees. Heute existiert sie dort nicht mehr. Was ist passiert? Es gebe viele Gründe für den Rückgang der Biodiversität, sagt Joëlle Magnin: Landschaftsveränderungen, Siedlungsdruck, Klimaerwärmung.
Um die Folgen des Klimawandels für die Pflanzenwelt dreht sich in den nächsten drei Jahren auch die Botanica, eine Initiative von rund 20 botanischen Gärten in der Schweiz. Unter dem Titel «Klimawandel im Pflanzenreich» werden die Gärten von 2019 bis 2021 anhand verschiedener Veranstaltungen die Öffentlichkeit informieren und sensibilisieren (siehe Box). Auch Joëlle Magnin wird an den Aktivitäten im Botanischen Garten Lausanne mitarbeiten. «Ob ich eine Ausstellung konzipiere, ein Buch schreibe oder Daten sammle für einen Pflanzenatlas – es geht mir immer um dasselbe», sagt die 57-Jährige: «Ich möchte mithelfen, dass der Mensch wieder Zugang findet zur Natur, von der er sich leider – und das macht mir manchmal Angst – immer weiter entfernt.» Doch dass die Beziehung zwischen Mensch und Natur funktioniere, sei enorm wichtig: «Nur was der Mensch kennt und schätzt, wird er auch schützen», sagt sie.
Deshalb hat sie auch so grosse Freude an den vielen roten Punkten auf der Waadtländer Karte. Sie sind alle ein Zeugnis des Pflanzenreiches im Kanton und ein wichtiges Statement. Nicht nur für Bedauerliches, sondern immer auch wieder für Erfreuliches: So wurde von der seltenen Borstigen Glockenblume Campanula cervicaria ein bis zu diesem Zeitpunkt unbekannter und kleiner Bestand gefunden. «Solche Ereignisse sind einfach grossartig», sagt Magnin. Und sie motivieren sie, weiterzumachen. «Weil es sich noch immer lohnt.»
Die Emotionen Wecken
Als Kind war es Léa Wobmanns Traum, ihre Hängematte in den tropischen Gewächshäusern des Botanischen Gartens in Genf aufzuhängen. Die üppige Vegetation hatte damals ihre Fantasie beflügelt. Gut zwei Jahrzehnte
Mit den Alpenfplanzen auf Du und Du
Aufgewachsen zwischen Bergwäldern und Alpwiesen, entdeckte Jan Jelen als junger Mann mitten in der Stadt eine ganz neue Pflanzenwelt. «Ich war für die Gärtneraus- bildung nach Genf gezogen und verbrachte
Alpenpflanzen – Einfluss des Klimawandels auf alpine Pflanzen
Für Wachstum und Verbreitung von Pflanzenarten sind verschiedene Faktoren wichtig: Neben Landnutzung, Stickstoffeintrag oder Kohlendioxidanstieg spielt das Klima eine entscheidende Rolle. Durch den Klimawandel ändern sich sowohl Areale als auch
«Seit Jahrzehnten gedeihen immer mehr kleine Bäume in der alpinen Stufe»
BEAT FISCHER Herr Randin, wie nehmen Sie als Gebirgsökologe den Klimawandel wahr? CHRISTOPHE RANDIN Die Erwärmung in den Bergen realisierte ich schon früh. Ich erinnere mich an ein Ereignis im
«Sehr viele Pflanzenarten wandern von weiter unten auf die Gipfel»
BEAT FISCHER Frau Wipf, als Gebirgsökologin stehen Sie oft zuoberst auf dem, Gipfel. Sind Sie auch eine Bergsteigerin? SONJA WIPF Ich bewege mich gerne und gut im weglosen Terrain, aber
«Invasive Pflanzen können ganze Ökosyseme verändern»
BEAT FISCHER Herr Schaffner, wieso befindet sich die Schweizer Niederlassung einer weltweit tätigen Organisation mit über 600 Mitarbeitenden in Delémont? URS SCHAFFNER Das hat biologische Gründe. Die Geschichte beginnt nach
«Wir können nicht tatenlos zusehen»
BEAT FISCHER Herr Walther, Sie haben jahrelang mit invasiven Neophyten geforscht. Entwickelt man dabei auch so etwas wie eine Beziehung zu diesen Pflanzenarten? GIAN-RETO WALTHER Je länger man sich mit
Von tropisch zu einheimisch
Eine tropische Pflanze mit dem lautmalerischen Namen Monstera deliciosa begründete ihre Liebe zur Botanik. Als Zimmerpflanze schmückte das Fensterblatt die elterliche Wohnung in Zürich. Als sie acht Jahre alt war,
Invasive Neophyten – Einfluss des Klimawandels auf die Vegetation
INVASIVE NEOPHYTEN Pflanzenarten, die nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus 1492 absichtlich oder unabsichtlich in ein neues Gebiet eingeführt wurden und sich in der Natur etablierten, werden Neophyten genannt.
«Letztlich sind es die Extremereignisse, die zu Veränderungen führen»
BEAT FISCHER Herr Zimmermann, wie nehmen Sie persönlich den Klimawandel wahr? NIKLAUS E. ZIMMERMANN In erster Line beim Wandern im Gebirge. Ich gehe gerne und oft in die Regionen, in
Ursachen und Folgen des Klimawandels
Klimaveränderungen gab es auf der Erde immer. Als die landlebenden Dinosaurier vor rund 65 Millionen Jahren ausstarben, herrschte in der Gegend der Schweiz ein subtropisches bis tropisches Klima. Im Eiszeitalter,
Erhaltung gefährdeter Wildpflanzen in botanischen Gärten
In der Schweiz sind über ein Viertel der Wildpflanzen bedroht und stehen auf der Roten Liste. In botanischen Gärten werden solche gefährdeten Arten für eine Wiederansiedlung in ihren natürlichen Lebensräumen kultiviert.
«Die Stimmung für Artenförderung war noch nie so gut»
Info Flora ist das nationale Daten- und Informationszentrum zur Schweizer Flora. Deren Direktor, Dr. Stefan Eggenberg, engagiert sich seit Jahrzehnten im Artenschutz.
«Wir profitieren vom grossen gärtnerischen Knowhow»
Kantonale Naturschutzfachstellen sind bei Erhaltungsprogrammen und Wiederaussiedlungen von seltenen und gefährdeten Pflanzenarten wichtige Partner der botanischen Gärten.
«Die Natur kennt keine Grenzen»
Der Botanische Garten der Universität Freiburg nimmt in der Schweiz eine Pionierrolle ein. Prof. Gregor Kozlowski realisierte mit seiner Forschungsgruppe und dem Gartenteam etliche erfolgreiche Wiederaussiedlungen.
«Infotainment ist heute besonders wichtig»
Peter Enz’ wichtigstes Ziel ist die Sensibilisierung für Pflanzen und die Natur. Darum liegt dem Leiter des Botanischen Gartens der Universität Zürich die diesjährige «BOTANICA» sehr am Herzen: Weil sie aufzeigt, wie wichtig der Erhalt bedrohter heimischer Pflanzen ist.
«Unser Gründervater wären zufrieden mit uns»
Catherine Lambelet setzt sich für den Erhalt bedrohter Pflanzen ein. Sie ist Konservatorin am Botanischen Garten von Genf
«Verschwindet eine Art, geschieht dies meist im Stillen.»
Gregor Kozlowski ist in seinem Element, wenn er über sein Spezialgebiet, den Artenschutz, spricht. «Allein im Kanton Freiburg sind rund 700 Pflanzenarten bedroht, ein Drittel des kantonalen Wildpflanzenbestandes.»