Das Interview ist im BOTANICA Garten- und Pflanzenfüher 2018 erschienen.

Die Letzten ihrer Art

«Wir profitieren vom grossen gärtnerischen Knowhow»

Kantonale Naturschutzfachstellen sind bei Erhaltungsprogrammen und Wiederaussiedlungen von seltenen und gefährdeten Pflanzenarten wichtige Partner der botanischen Gärten. Eine zentrale Rolle nimmt dabei der Kanton Zürich ein. Ursina Wiedmer, die Leiterin der Fachstelle Naturschutz, äussert sich zu den Ex situ-Projekten.

Ursina Widmer ist Biologin und leitet die Fachstelle Naturschutz Kanton Zürich. In dieser Funktion ist sie auch verantwortlich für die Artenschutzprogramme des Kanton.

BEAT FISCHER Frau Wiedmer, haben Sie eine Lieblingspflanze?
URSINA WIEDMER Ich habe keine Lieblingspflanze respektive es fällt mir schwer, in der grossen Vielfalt, die ich an sich faszinierend finde, eine «Hierarchie» zu machen. Wenn ich denn eine sagen soll, wäre es der Gelbe Günsel (Ajuga chamaepitys). Er ist eher klein, unscheinbar, aber ich finde ihn ausgesprochen schön. Er hat ausserdem die Eigenschaft, dass seine Samen lang überdauern können und er deshalb an Orten wieder auftaucht, wo er lange verschollen war, wenn die Bedingungen für ihn wieder stimmen.

Ist er selten oder geschützt?
Der Gelbe Günsel ist in der Schweiz gefährdet. Im Kanton Zürich gibt es aktuell nur noch ganz wenige Vorkommen.

Wie viele ex situ Projekte führen Sie im Kanton Zürich durch? Um welche Arten handelt es sich dabei?
Wir führen ex situ Projekte als Zwischenvermehrung durch, mit der Absicht, die Pflanzen respektive Samen anschliessend wieder in geeignete Lebensräume auszubringen, wo sie sich erneut selbständig vermehren sollen. Aktuell halten wir rund 75 Arten in Zwischenvermehrungen. Davon werden entweder Samen gesammelt und wieder ausgebracht oder Pflanzen wieder ausgepflanzt, 2017 zum Beispiel an über 150 In-situ-Standorten. Bei den Arten handelt es sich um prioritäre Arten, für die der Kanton Zürich aufgrund ihrer Gefährdung und Verbreitung eine besondere Verantwortung trägt. Sie decken nahezu alle Lebensraumtypen ab.

Zwischenvermehrung in der Gartenanlage von Wangen-Brüttisellen durch Freiwillige

 

Gibt es Erfolgserlebnisse, die Sie besonders freuen, oder Misserfolge, die Sie ärgern?
Das Gnadenkraut (Gratiola officinalis) ist eine Art, bei der es gelungen ist, wieder zahlreiche und auch grössere Populationen neu zu gründen. Auch vom Gelblichen Klee (Trifolium ochroleucon), von der Knolligen Spierstaude (Filipendula vulgaris) oder dem Kreuzblättrigen Enzian (Gentiana cruciata) konnte mit relativ geringem Aufwand wieder eine grössere Zahl von Beständen neu geschaffen werden. Diese sind jedoch meist klein und benötigen weiterhin gezielte Pflegemassnahmen. Schwierig hat sich die Förderung von Moorarten wie dem Kantigen Lauch (Allium angulosum), dem Zierlichen Wollgras (Eriophorum gracile) oder der Schnurwurzel-Segge (Carex chordorrhiza) erwiesen. Hier ist es wiederholt vorgekommen, dass die Arten im Laufe der Zeit wieder verdrängt worden sind. Möglicherweise spielen dabei auch Megatrends eine Rolle, wie die generelle Eutrophierung und der Klimawandel, der sich auf den Wasserhaushalt der Moore auswirkt.

Welchen Stellenwert haben ex situ Projekte für den Naturschutz?
Selbstverständlich legt der Naturschutz das Schwergewicht primär auf die In-situ-Erhaltung – diese ist durch nichts zu ersetzen. Allerdings sind Lebensräume und Populationen zahlreicher Arten so stark geschrumpft, dass aktive Massnahmen nötig sind, um ein Aussterben zu verhindern. Hier sind ex situ Projekte wichtig respektive unabdingbare Voraussetzung. Allerdings – wie bereits gesagt – nicht nur per se, sondern hauptsächlich in Hinblick auf Wiederausbringung in neue geeignete Lebensräume, wo ein langfristiges Überleben wieder selbständig möglich ist.

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit botanischen Gärten?
Für uns von der Fachstelle Naturschutz Kanton Zürich ist der Botanische Garten der Universität Zürich ein sehr wichtiger Partner, der sich auch an der BOTANICA beteiligt und sich sehr aktiv im Projekt «Die Letzten ihrer Art» engagiert. Von den rund 75 Arten, für die ex situ Projekte bestehen, werden rund 20 Arten dort vermehrt. Wir profitieren von grossem gärtnerischem Knowhow, professioneller Arbeit und Infrastruktur sowie nicht zuletzt auch von der Offenheit und dem Interesse für die Zusammenarbeit und der Bereitschaft zur ständigen Optimierung. Wir schätzen es sehr, dass es Teil des Selbstverständnisses des Botanischen Gartens Zürich ist, sich an der praktischen Naturschutzarbeit zu beteiligen.

Was braucht es, um neue Projekte lancieren zu können? Welche Pflanzen möchten Sie gerne in ein Programm aufnehmen?
Nötig sind die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen; zudem Perspektiven für neue Förderflächen, was im hart um- kämpften Raum nicht einfach ist. Wir sind daran, die Priorisierung der Arten mithilfe der Roten Liste der Gefässpflanzen von 2016 zu überarbeiten. Daraus könnten sich einige Änderungen ergeben, so könnte beispielsweise der Frauenschuh (Cypripedium calceolus) neu zu den prioritären Arten dazukommen. Grundsätzlich streben wir natürlich an, dass möglichst wenige Arten ex situ Massnahmen brauchen.

Haben Sie Wünsche an die botanischen Gärten?
Wir würden es begrüssen, wenn die Zusammenarbeit zwischen den kantonalen Naturschutzfachstellen und den botanischen Gärten in der ganzen Schweiz verstärkt würde und sich Modelle ergäben, ähnlich wie wir sie im Kanton Zürich haben. Das würde bedeuten, dass alle botanischen Gärten die konkrete regionale Naturförderung als wichtiges Standbein erkennen sowie Raum und Kapazitäten dafür zur Verfügung stellten, sei es als Teil des botanischen Gartens oder bei ex situ Vermehrungen. Auch wäre ein intensiver Knowhow- Austausch zwischen den verschiedenen Projekten erwünscht. Zudem liesse sich das Potenzial, über das die botanischen Gärten im Bereich der Wissenschaft verfügen, noch für weitere Projekte nutzen.

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